Sozial. Unsozial. Alles egal.

Diesen Beitrag schrieb ich 1 Jahr und 2 Monate zuvor; die nachfolgenden Ausführungen müssen heute weder genau so nach wie vor funktionieren, noch meiner heutigen Meinung entsprechen. Behalte das beim Lesen (und vor allem: beim Nachmachen!) bitte stets im Hinterkopf.

Geschätzte Lesezeit: 4 Minuten

Im Oktober hat unser aller Lieblings-Größenwahnsinniger Ex-Twitter gekauft; und seither geht es mit dem Dienst steil bergab. Für mich persönlich zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt.

Richtig wohl gefühlt habe ich mich auf Ex-Twitter, das muss ich zugeben, schon in den Monaten zuvor nicht mehr. Ich empfand den Tonfall als nicht eben zugewandt, die Inhalte meiner Stimmung alles andere als zuträglich… Es lag nicht nur an mir. Und immer häufiger musste ich mir Auszeiten nehmen.

Aber nun gut – nach so vielen Monaten Pandemie (mit einem Management, das von „irres Lachen“ über „massiver Wutanfall“ bis hin zu „Resignation“ das gesamte emotionale Spektrum bediente), dem Krieg in der Ukraine, den Unruhen im Iran, der Nord-Stream-Sabotage, den Preisentwicklungen in nahezu allen Lebensbereichen… die Leute sind durch. Ich auch. Und das äußert sich eben auf tausend verschiedene Arten.

jeopardy_theme_song.mp3

In meiner überaus technik-affinen Ex-Twitter-Bubble wurde es schnell still und stiller. Viele hatten ihre Accounts bei alternativen Diensten schon länger und gingen nun dazu über, diese aktiv zu nutzen; andere suchten sich ein Plätzchen und legten los. Von meiner liebevoll kuratierten Timeline war im Dezember schon nur mehr ein Bruchteil übrig.

Inzwischen – Ex-Twitter-Clients von Drittanbietern sind ja nun auch nicht mehr erlaubt – rollen die Tumbleweeds.

Welcome to the Fediverse

Vor einigen Jahren – zu einem recht frühen Zeitpunkt – hatte ich bereits eine Mastodon-Instanz aufgezogen, diese aber nach einer Weile wieder verworfen. Zum einen, weil da einfach completo pantalon muerto herrschte: ein bisschen so, als würde ich im Wald stehen und Bäume anschreien. (Wobei bloggen sich inzwischen ja recht ähnlich anfühlt, ohne Blogsrolls und Kommentare und so… anderes Thema.) Zum anderen, weil damals datenschutzrechtlich derart viel ungeklärt war, dass ich mich nicht näher damit befassen wollte.

Im November 2022 ging ich das erneut an und richtete mir unter konfigurationsmanufaktur.de meine Spielwiese ein. Die läuft stabil und tut, was sie soll. Ich könnte mich da austoben, theoretisch.

Praktisch tue ich das… nun, ich sage mal in unzureichender Weise. Und damit meine ich nicht das Administrative, denn das macht mir keinen Stress. Tatsächlich meine ich damit die Benutzung: Mastodon ist halt nicht Ex-Twitter, und in diesem neuen Universum ist vieles wieder auf Anfang. Dinge sind hier anders, teilweise ganz bewusst anders – auch wenn ich einigen kreativen Begründungen beim besten Willen nicht folgen kann. Und damit muss ich mich auseinandersetzen, mich einarbeiten. Doch dazu irgendwie fehlt mir jede Lust. Wobei Lust vielleicht nicht das richtige Wort ist – Energie, Motivation, Kraft, you name it.

Ich bin es, im übertragenen Sinne, müde. Müde, immer wieder neu anzufangen. Müde, mich immer wieder mit neuen Spielregeln auseinander setzen zu müssen. Müde, Diskussionen immer wiederkehrenden Inhalts zu verfolgen.

Und überaus müde auch im wörtlichen Sinne, da ich in viel zu vielen Nächten nicht mehr als zwei oder drei Stunden schlafe, und die auch nicht am Stück. Was generell für eine ziemlich kurze Zündschnur und viele schlechte Gefühle sorgt. Gerade wäre mir die vertraute Gewohnheit der alten Ex-Twitter-Bubble, das über die Jahre etablierte „level of trust“, lieber. Aber die existiert nicht mehr.

Wozu also das Ganze?

Grundsätzliche Sinnfragen begleiten mich im Moment täglich; es ist, als stünde alles auf dem Prüfstand. Und so stelle ich mir auch in Bezug auf Social Media die Frage: weitermachen? Aussteigen?

Ich müsse mich den Menschen zumuten, das wurde mir gesagt. Mich keinesfalls zurückziehen. Die Frage nach meinem Befinden ehrlich beantworten. Ich habe es versucht, doch… ich kann das nicht.

Weil ich unabsichtlich jegliche fröhliche Stimmung meines Gegenübers zunichte mache, die Laune aller runterreiße. Ich deprimiere die Menschen, mit denen ich kommuniziere – und das will ich nicht. Ich fühle mich, als sei ich allen eine Last – eine schlecht gelaunte, überaus humorlose noch dazu – und auch das will ich nicht. Social Media scheint mir mehr so für „the sunny side of life“. Und auf der stehe ich gerade nicht.

Mich macht mein Gemütszustand ja selbst nicht glücklich. Nach Jobwechsel und Corona-Lockdown und Jobwechsel und noch mehr Corona und Jobwechsel und Trennung hätte ich es selbst sehr zauberhaft gefunden, mich einfach mal hemmungslos zu langweilen, zur Ruhe zu kommen. Aber es ist eine Art emotionaler Krater, in dem ich nun herumwandere – „Tal“ erscheint mir eine zu harmlose Umschreibung – und den tiefsten Punkt habe ich dabei noch nicht einmal erreicht. Krebs ist auch dann ein Arschloch, wenn man ihn nicht selbst hat. Wenn man hilflos daneben steht. Und irgendwie funktionieren muss – während die Welt ringsum doch lichterloh brennt.

Mir bleibt lediglich, mich auf die Ferne umarmt zu fühlen. Und mich zu melden, wenn ich etwas brauche – nur dass ich nicht weiß, was ich brauchen und was mir helfen könnte. Und nicht die Kraft habe, mich zu melden.

Deshalb wundert euch nicht, dass ich sehr still bin. Ich will mich niemandem zumuten, weil ich nie eine Zumutung sein wollte. Ich versuche nur, irgendwie zurecht zu kommen. Keine Ahnung, wie so etwas geht.

Alle Bilder dieser Seite: © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten
Hintergrundbild: Stickbild This Is Fine, work in progress, 2023, 1500x 1000px, Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten

Eure Gedanken zu „Sozial. Unsozial. Alles egal.“

Nicht jeder Gedanke erträgt Diskussion.
Das hier ist so einer.
Deshalb bleibt die Kommentarfunktion für Artikel dieses Bereichs deaktiviert.