Temperature Blanket 2020

Temperature Blanket 2020
Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten

Entstanden ist die Idee 2018/2019, in direktem Zusammenhang mit meinem Buch: ich hatte eine InfluxDB voller Daten und fragte mich, was man da wohl sonst noch so mit anstellen könnte.

  • Projektzeitraum:
    • Planungszeitraum: 2018/19
    • fehlgeschlagener (gehäkelter) Umsetzungsversuch: Winter 2020/21
    • eigentliche Umsetzung: Winter 2021/22 – Januar 2024, jeweils in den kalten Monaten
  • Muster:
    • das kostenlose DROPS 133-1 von DROPS Desgin
    • Grundidee: für jeden Tag des Jahres 2018 eine Reihe => 365 Reihen
    • finale Umsetzung: für jeden Tag des Jahres 2020 eine Reihe => 366 Reihen, das war nämlich ein Schaltjahr!
  • Material: 16x 80% Merino (fein), 20% Seide, Lauflänge ~400m/100g, gekauft nach exzellenter Corona-konformer Online-Beratung bei Tausendschön
  • Nadeln:
    • zu Beginn: KnitPro Symfonie Holznadelspitzen 3,5, die mir jedoch irgendwann schlicht abgebrochen sind
    • deshalb Umstieg zu KnitPro Zing, ebenfalls 3,5
    • abgekettet auf 4,0
  • Sonstiges:
    • Maschenmarkierer in zwei verschiedenen Größen
    • auswechselbares Kabel, Länge mit Nadeln: 80cm
    • auswechselbares Kabel, Länge mit Nadeln: 1,50m
    • auswechselbares Kabel, Länge mit Nadeln: 2,50m 😎
    • Gewindekleber 😂

Die Idee

In der Planungsphase nahm ich mir die Messwerte zweier Temperatursensoren vor: jene des Sensors an der Nordseite des Hauses sowie die von dem auf der Südseite. Für beide Sensoren bestimmte ich für jeden Tag des Jahres 2018 den Wert, der am weitesten von 0°C entfernt war – also entweder den kältesten oder den heißesten. Und das ungeachtet dessen, wie lange der im Endeffekt vorgeherrscht haben mag. Aus diesen so ermittelten Extremwerten ließ ich von Grafana für beide Sensoren je eine Heatmap malen. Und entschied mich dann für die, die mir optisch besser gefiel – so einfach war das. Die Wahl fiel auf die der Südseite – denn da waren die Temperatursprünge drastischer, der Farbverlauf hübscher.

Temperaturtuch Heatmap

Die Heatmap, mit der alles mehr oder minder begann

Es ging – und geht – mir also nicht um wie auch immer geartete Klimakritik. Es ist ein Handarbeitsprojekt; ein Kunstprojekt, wenn ich mich aufblasen will. Aber ganz sicher keine wissenschaftliche Auswertung. Hätte ich die haben wollen, wäre ich die Sache völlig anders angegangen.

Festlegung der Temperaturbereiche

Die Heatmap zog ich dazu heran, Temperaturbereiche zu definieren und diesen jeweils eine Farbe zuzuweisen. Als das getan war – und ich habe länger daran geknobelt, als ich gerne zugebe – habe ich Tausendschön kontaktiert; online, da Lockdown und so. Und die waren extrem hilfreich, stellten mir zwei mögliche Qualitäten vor und sendeten sehr gute Bilder von den Farben. Die Wahl fiel schnell auf Option zwei, das Wolle-Seide-Gemisch.

Temperaturtuch Farbindex

Festlegung der Temperaturbereiche sowie deren Farbe

Neben der Heatmap habe ich mir in Grafana auch einen Verlaufsgraphen sowie eine Tabelle bauen lassen. Die Tabelle habe ich dann als Basis für meine weitere Planung genutzt, indem ich sie exportiert habe („Inspect“ → „Data“ → „Download CSV“).

  • Die resultierende Datei öffnete ich anschließend in Excel („File“ → „Import“ → „CSV File“).
  • Beim Import definierte ich sowohl „Comma“ als auch „Space“ als Delimiter, was dazu führte, dass ich anschließend drei Spalten hatte: eine mit dem Datum, eine mit der Uhrzeit und eine mit dem Temperaturwert. Für jene mit der Uhrzeit stellte ich im letzten Schritt des Imports sicher, dass sie übersprungen wird – sie wurde im weiteren Verlauf nicht gebraucht.
  • Nun markierte ich beide Spalten und wählte „Sort & Filter“ → „Custom Sort“ → „Sort by Column B, Sort on Values, Smallest to Largest“.
  • Die Tabelle war somit nun nach Temperaturwerten aufsteigend sortiert; in einer dritten Spalte hinterlegte ich mir jeweils den ermittelten Farbcode.
  • Das erlaubte mir zu sehen, wie viel ich prozentual von jeder Farbe brauchen werde. Außerdem gab ich für jede Zeile den Namen der Farbe mit an – das würde mir die Arbeit erleichtern, wenn ich am Abend bei nicht ganz so optimalem Licht arbeitete.
  • Abschließend markierte ich alle drei Spalten „Sort & Filter“ → „Custom Sort“ → „Sort by Column A, Sort on Values, Order Oldest to Newest“; nun war die Tabelle nach Datum sortiert.
  • Stellte ich den Zoom-Faktor der Tabelle auf <20%, bekam ich eine Idee davon, wie der Farbverlauf ungefähr aussehen würde.

Temperaturtuch 20 Prozent

Hinreichend verkleinert liefert auch die Excel-Tabelle einen Ausblick auf das Endergebnis

Garnbestellung und erster Versuch

Durch die grobe prozentuale Übersicht konnte ich jetzt endlich die Garnbestellung anstoßen. Die mittlere Farbe gab es nicht – die Inhaberin färbte mir einen Strang entsprechend, und wie cool ist das bitte?! Das Garn wurde dann in 14 Strängen zu je 400m (später habe ich dann noch zwei nachbestellt) geliefert - folglich musste ich das erst einmal sorgfältig zu Knäueln wickeln. Das sollte man nicht unterschätzen: auch das nimmt Zeit in Anspruch!
Da mir klar war, dass das Projekt über einen längeren Zeitraum würde laufen müssen, steckte ich jedes Knäuel in einen Kosmetikbeutel, den ich oben locker verknotete, und an den Knoten machte ich einen Zettel mit der jeweiligen Garnfarbe.

Temperaturtuch Excel

Der zweite Teil der (späteren, sprich: für 2020) Anleitung: welche Farbe für welche Reihe?

Diese Excel-(später: OpenOffice)-Tabelle stellte sozusagen den zweiten Teil der Anleitung dar: ihr entnahm ich die Farbe, in welcher ich die nächste Reihe arbeiten muss. Der Anleitung hingegen entnahm ich, wie ich sie arbeiten muss.

Im ersten Winter, 2020/21, arbeitete ich an der ersten Version, die sich schließlich als Fehlversuch herausstellen sollte. Diese war nicht gestrickt, sondern gehäkelt. Ich hatte die Anleitung online entdeckt, das Muster hatte mir gefallen. Doch nun lag es vor mir, in meinen Farben, und es wirkte einfach nur altbacken. Zugleich war klar, dass es viel zu schwer werden würde. Ich fand es absolut ätzend. Ich stoppte die Arbeit und trennte alles wieder auf *hier entsetze Aufschreie aus der Community einfügen* – also einmal komplett umdenken.

Temperaturtuch Fehlversuch

Die gehäkelte, altbackene, ätzende und viel zu schwere erste Version meiner Heatmap

Zurück auf Null und zweiter Versuch

Ich verstand, dass ich für ein Projekt dieser Dimension auf Stricknadeln würde umsteigen müssen. Damit tat ich mich schwer: ich hatte noch nie ein Tuch gestrickt, und mir fehlte jede Idee für ein passendes Muster. Der Farbverlauf ist ja schon unruhig, ich suchte nun etwas sehr Schlichtes. Ich wusste nicht, was ich suchte – aber als ich (nach ziemlich langer Zeit) mein DROPS 133-1 fand, war direkt klar: das ist es.

Inzwischen war so viel Zeit vergangen, dass ich erst einmal meine Excel-Tabelle anhand der Temperaturdaten von 2020 neu erstellte; der Rest (Zuordnung der Farben, grobe prozentuale Verteilung etc.) änderte sich nicht. Und dann legte ich erneut los.
Das erste Drittel im Winter 2021/22 war erfreulich schnell gearbeitet. Jede vollständig gearbeitete Reihe strich ich in der Excel-Tabelle aus. Für die Mustersätze nutzte ich frühzeitig Maschenmarkierer, große für jeden Anfang, kleine für die jeweilige Mitte, um nicht die Übersicht zu verlieren. Denn, wie ich schnell feststellte: das Muster sieht trivial aus, verzeiht aber keinerlei Fehler – einmal verzählt, und auch der Laie erkennt sofort „da stimmt was nicht“. Verdammt.

Flott hatte ich also einen signifikanten Berg Merino auf dem Schoß, so dass ich (Wärme!) im Sommer jeweils andere Projekte verfolgte. Das zweite Drittel im Winter 2022/23 gestaltete sich aufgrund stetig steigender Maschenzahl schon etwas zäher, war aber immer noch ganz gut zu machen.

Der Endgegner

Das letzte Drittel zeigte sich dann so ein bisschen als Endgegner. Klar „hätte ich wissen können, bei wie vielen Maschen pro Reihe ich enden würde“ – und, oh Wunder, dank Excel wusste ich das ja auch. Dennoch waren das einfach nur Zahlen – ich musste es erleben, ich musste es einmal ganz durchspielen. Um eben zu verstehen, was 1802 Maschen in einer Reihe wirklich bedeuten – zum Beispiel, dass es über drei Stunden braucht, eine vollständige Reihe zu arbeiten.
Und auch, welche (teils unerwarteten) technischen Schwierigkeiten das mit sich bringen würde.
Zuerst brachen mir unter der Last nämlich die Holznadeln einfach ab, so dass ich neue Nadelspitzen (Aluminium diesmal) besorgen musste.

Temperaturtuch kaputte Nadelspitze

Dinge, die kein Mensch braucht: abbrechende Nadelspitzen

Dann waren plötzlich alle vorhandenen Seile zu kurz, so dass ich erstmal schauen musste, wo ich ein 2,50m-Seil herbekomme (scheint heute einfacher zu sein als vor zwei Jahren, und mit Verlängerungen wollte ich wegen der Gewinde nicht hantieren. Denn…). Zuletzt hielten die Gewinde der KnitPro-Nadelspitzen das Ganze nicht mehr - sie begannen von selbst, sich aufzudrehen, was insgesamt sehr lästig und schlecht fürs Garn war, einmal aber auch fast ins Desaster geführt hätte. „Screw Lock hochfest“ aus dem Baumarkt schaffte hier Abhilfe – nach all der Arbeit (und Materialkosten!) entschied ich, lieber den Satz Nadelspitzen und das Seil für verloren zu erklären, als jetzt, kurz vor Schluss, im Chaos zu enden. Kurzum: bei 1802 Maschen war Schluss, breiter hätte es nicht mehr werden dürfen.

Die letzte Reihe des Temperaturtuchs

Letzte Reihe des Temperaturtuchs – die Maschen liegen dicht an dicht

Aber da waren die 366 Reihen – die letzten 20 davon kraus rechts gehalten, damit es sich nicht dumm aufrollt – geschafft. 366 Reihen, 348.740 Maschen, 1500g Garn. Ab dem 17. Dezember 2023 konnte ich abketten (was zwei Abende dauerte), bis zum 7. Januar 2024 hatte ich dann die Fäden ordnungsgemäß verstochen. Eine Heatmap zum Kuscheln also, was mir sehr entgegen kommt, weil ich seit einer Weile ständig friere und sehen muss, wie ich mich aufwärme.
Als ich mit der Planung begonnen habe, war die Idee eines „Temperature Blanket“ recht innovativ – leider habe ich für die Umsetzung so lange gebraucht, dass sie es nun nicht mehr ist. Allerdings habe ich, wie ich zu meiner Ehrenrettung festhalten muss, mit bedeutend feinerem Garn ein bedeutend größeres Projekt umgesetzt als die meisten, die ich online bisher so gesehen habe – zumindest hält mich jeder, der es live und in Farbe bewundern durfte, für völlig bekloppt.

Das Temperaturtuch ist fertig

Endlich geschafft – das Temperaturtuch ist fertig

Ausblick

Damit ist das aufwändigste Handarbeitsprojekt, das ich bisher durchgezogen habe, erfolgreich beendet. Und es hat, zusammen mit mir und auf meinem Schoß, schon ziemlich viel erlebt. Die Corona-Lockdowns zum Beispiel, die keine waren. Abschiede. Jobwechsel. Es saß mit mir an Papas Bett, während er schlief. Und es zeigt die Temperaturen des Jahres, in dem fast jeder Pfeiler zusammenbrach, der mir irgendwie wichtig war (die restlichen Pfeiler sollten dann in den Folgejahren brechen – wie gut, dass man sowas vorher nicht weiß). Als Projekt vermisse ich es schon jetzt, immerhin kann ich mich nun darin einwickeln. Ich brauche dringend einen Nachfolger: der steht auch schon fest, ich konnte mich bislang aber für keine Farbe entscheiden… 😇

Nachsatz

Zum Verstechen der Fäden hatte ich dann immerwarmen Kaffee: vielen lieben Dank, MK, für den Thermobecher – er ist so großartig, wie ich es mir erhofft habe, und ich hab mich so mega gefreut!
Und dass es dabei nicht so langweilig war, hatte ich MP zu verdanken – die dritte Staffel meiner Serie versüßte mir die lästige Fleißarbeit ganz ungemein! 🥰

Alle Bilder dieser Seite: © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten
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